aus der Presse
Düstere Schatten
16.06.2010Oliver von Schaewen lässt im zweiten Schiller-Krimi die „Räuber“ auferstehen.
HINTERGRUND Der knautschige Kommissar Peter Struve hängt durch. Seine Marie hat ihn aus der gemeinsamen Doppelhaushälfte geworfen. Er mietet sich im 17. Stock des potthässlichen Marstall Centers in Ludwigsburg ein. Von da oben hat er den Überblick, aber noch lange nicht den Durchblick. Kaum hat er im Hochhaus die erste Nacht bei der attraktiven Immobilienmaklerin Corinne Lennert verbracht, ruft ihn ein neuer Fall auf den Plan. In aller Herrgottfrühe treibt eine Wasserleiche auf dem See von Schloss Monrepos: der bekannte Yellow-Press-Verleger Maximilian Moor, offenbar in der Nacht zuvor erschlagen, nachdem er im benachbarten Schlosshotel einen Krisengipfel einberufen hatte.
vom: Gemeiner Verlag
Nach seinem erfolgreichen Debüt „Schillerhöhe“ lässt Oliver von Schaewen diesmal die Figuren aus Friedrich Schillers „Die Räuber“ auferstehen – allerdings in moderner Form. Maximilian Moors Sohn Karl, im Original ein Student, der ins kriminelle Milieu abrutscht und Räuberhauptmann wird, hat in Schaewens Fassung dem Hochglanz-Verlag schon früh den Rücken gekehrt und zeigt Managern im Wald Survivaltricks. Wie bei Schillers „Räubern“ hat zunächst Karls Bruder Franz das Heft fest in der Hand. Der Junior-Geschäftsführer strebt die Alleinherrschaft über das Familienimperium an und schreckt dabei vor Bilanzfälschungen nicht zurück. Sein Pech: Der alte Moor merkt’s wenige Tage vor der endgültigen Geschäftsübergabe. Franz gerät ebenso in Mordverdacht wie sein Bruder Karl, der sich in der Tatnacht in unmittelbarer Nähe aufgehalten hat. Ein Zufall? Oder ein geschickt eingefädeltes Manöver? Gar von ihm selbst? Soll alles wie ein Unfall aussehen? Kommissar Struve und seine Kollegin Melanie Förster von der Stuttgarter Kripo fischen im Trüben, profitieren allerdings vom Tatendrang des Jungjournalisten Luca Santos, der sich undercover in das Survivalcamp Moors eingeschlichen hat, um jungen Neonazis nachzuspüren.
Die düsteren und langen Schatten der nationalsozialistischen Vergangenheit ragen in Schaewens Krimi bis in die Ludwigsburger Prunkschlösser. „Inspiriert hat mich die Causa Hans Filbinger“, erzählt der Autor. Der baden-württembergische Ministerpräsident der Jahre 1966 bis 1978 musste seinen Hut nehmen, nachdem der Schriftsteller ihn in seinem Roman „Eine Liebe in Deutschland“ als „Hitlers Marinerichter“ und „furchtbaren Juristen“ bezeichnet hatte. Filbinger hatte Todesurteile gegen Deserteure gefällt, diese Urteile aber nie öffentlich bereut, sondern trotzig als rechtskonform dargestellt. Bekannt sein geflügeltes Wort „Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein.“ Trauriger Höhepunkt der verdrängten Geschichte war der öffentliche Empfang Filbingers im Ludwigsburger Residenzschloss durch den Ministerpräsidenten Erwin Teufel anlässlich des 90. Geburtstages Filbingers im Jahr 2003. Wegen Filbinger geriet Teufels Nachfolger Günther Oettinger vier Jahre später ins Kreuzfeuer der Kritik: Der Ministerpräsident klammerte in seiner Trauerrede beim Begräbnis Filbingers die nationalsozialistische Vergangenheit aus – und musste sich prompt von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin zurechtweisen lassen.
Für den Autor Oliver von Schaewen schließt sich mit dem Krimi „Räuberblut“ aber noch ein anderer Kreis. „Mich hat immer gewundert, dass meine Geburtsstadt Kreuztal ihr Gymnasium 39 Jahre lang nach dem verurteilten Kriegsverbrecher Friedrich Flick benannt hat.“ Flick hat in seien Rüstungsschmieden Hand in Hand mit den Nazis Sklavenarbeiter aus vielen Ländern ausgebeutet. „Er hat das nie bereut und es Zeit seines Lebens abgelehnt, den Opfern Entschädigungen zu zahlen“, weiß von Schaewen. Erst die Bürgerinitiative „Flick ist kein Vorbild“ und bundesweite Medienberichte brachten die Kreuztaler Stadtväter vor zwei Jahren zum Einlenken. Dabei hätte, so von Schaewen, bereits eine frühere Besinnung ohne den Druck der Medien die Sinne schärfen können.
Im Krimi „Räuberblut“ setzt sich von Schaewen aber nicht mit den konkreten Machenschaften Flicks und Filbingers auseinander. „Mir geht es um die Schatten unverarbeiteter Geschichte, die in einen Kriminalfall, wie er sich heute zugetragen haben kann, hineinragt“, erklärt der Autor, den auch die Präsenz der NS-Forschungsstelle im Ludwigsburger Staatsarchiv („Fall Demjanjuk“) inspiriert hat. Die Schauplätze des Krimis sind in der Barockstadt, aber auch in umliegenden Städten wie Bietigheim-Bissingen, Marbach, Freiberg und Kornwestheim sowie in Stuttgart angesiedelt. Zum Finale wird im Residenzschloss geblasen, dessen Reize jährlich eine halbe Million Besucher anlocken.