aus der Presse
Foto: Holm Wolschendorf
„Die guten Ideen kommen, wenn ich im Prozess bin“
Interview zum Beginn der Marbacher Schillerwoche von Stephanie Nagel und Fabian Binder
7./8. November 2020Oliver von Schaewen greift in seinen Krimis Themen aus den Werken von Friedrich Schiller (1759 – 1805) auf. Ein Gespräch über heutige Standesunterschiede, einen „reig’schmeckten“ Kommissar und ein Schillerzitat für die Pandemiezeit.
Quelle: LKZ LOKALZEIT, www.lkz.de
Ihre Bücher (siehe Übersicht unten) spielen in Marbach und Ludwigsburg. Wie wichtig ist Ihnen der Wiedererkennungswert der Orte?
OLIVER VON SCHAEWEN: Orte wiegen schwer im Krimi. Vor allem Tatorte. Ein Leser von „Liebestrug“sagte mir kürzlich, er schlendere jetzt etwas irritiert durch das Einkaufszentrum in Ludwigsburg, in dem er sonst ohne Hintergedanken shoppen gehe. Tatsächlich üben lokale Orte in Krimis eine mitunter starke Faszination aus – das sollte ein Autor aber nicht zur Masche machen. Ein guter Krimi muss mehr bieten: Mir ist der Bezug zu Schiller wichtig.
Welche Schwierigkeiten gibt es, in einem Lokalkrimi den literarischen Diskurs über Schiller unterzubringen?
Erhebliche, vor allem sprachliche. Wie schon die britische Krimiautorin Agatha Christie sagte: „Shakespeare ist der Lokomotivführer – ich bin nur der Heizer.“ Trotzdem versuche ich, die Grundidee aus jedem Schiller-Drama im Krimi als dessen Kern darzustellen. Im aktuellen Krimi „Liebestrug“ habe ich den Standesdünkel von „Kabale und Liebe“ aufgegriffen: Kann ein Flüchtling in eine deutsche Familie einheiraten? Sicher steht jede Liebe, in der sich fremde Kulturen begegnen, vor einer besonderen Herausforderung.
Hatten Sie beim Thematisieren von Migration Bedenken, beim Schreiben in Klischees zu verfallen?
Nein. Mir ist vollkommen klar, dass es unter Geflüchteten eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Einzelschicksale gibt: von der Einser-Abiturientin bis zum Gewaltverbrecher. Im Krimi habe ich mich dafür entschieden, Flüchtlinge in einer Theatertruppe auftreten zu lassen. Klischee-Gefahr hin oder her, es hat Spaß gemacht, sich vorzustellen, wie es da zugeht.
Würden Sie im Angesicht der in den letzten Monaten aufgeflammten Diskussion um Rassismus – Stichwort Black Lives Matter – die Geschichte anders erzählen?
Rassismus ist eine besonders hässliche Form des Standesdünkels. Was kann ein Regionalkrimi zur psychologischen Aufarbeitung leisten? Zu wenig, befürchte ich. Aber vielleicht reicht ja schon die Thematisierung innerhalb einer spannenden Geschichte. Die musste übrigens schon im Januar fertig sein. Black Lives Matter kam später auf.
Haben Sie Schillers Werke schon als Schüler gern gelesen?
Nein, ich habe Schiller im 9. Schuljahr nur ganz oberflächlich mit „Maria Stuart“ kennengelernt. Ich bin dann erst in Marbach wieder auf ihn gestoßen. Es ist prima, wenn Schüler ihn auch in zeitgemäßen Formen vermittelt bekommen. Ich selbst hätte gern zu Schillers Geburtstag einen Luftballon steigen lassen und meinen neuen Krimi Zehntklässlern in der Anne-Frank-Realschule in Marbach vorgestellt. Die drei vereinbarten Lesungen sind aber der Pandemie zum Opfer gefallen.
Muss man Schiller gelesen haben, um Ihre Bücher zu verstehen, oder soll man über Ihre Bücher den Zugang zu Schiller finden?
Nein, man muss Schiller nicht vorher gelesen haben. Aber ein Freund wurde neugierig und hat zu „Kabale und Liebe“ gegriffen, nachdem er „Liebestrug“ gelesen hatte. Literatur ist Geschmacksache, und ich kann jeden verstehen, dem ein Regionalkrimi zu seicht vorkommt, wenn er ein traditioneller Schiller-Fan ist.
Haben Sie ein Lieblingswerk von Schiller?
Ich stehe besonders auf „Kabale und Liebe“ und „Die Räuber“ als relativ frühe Werke, weil sie zur damaligen Zeit noch voller Sturm und Drang – und damit mutiger Gesellschaftskritik – waren.
Setzen Sie sich beim Schreiben noch mal genau mit dem Schiller-Werk auseinander, auf das Sie sich im Buch beziehen?
Ich lese es, mache mir dazu Gedanken und informiere mich. Es war interessant zu erfahren, dass Schiller die Adelige Charlotte von Lengefeld 1790 heiratete, nachdem er 1784 „Kabale und Liebe“ geschrieben hatte. So wurde sein Traum wahr, Charlotte verlor allerdings ihr Adelsprivileg. Sie musste Schiller sehr geliebt haben. Ein Happy End gab es 1802, als Schiller auf Fürsprache des Dichters Johann Wolfgang von Goethe den Adelsbrief verliehen bekam – trotz seiner Revoluzzerstücke.
Was macht in Ihren Augen Schillers Werke heute noch relevant?
Der Mut, gegen etwas zu schreiben, was die Freiheit bedroht. Und seine poetische Sprachkraft, auch wenn man sich beim Lesen heutzutage erst mal einfinden muss.
Warum bedienen Sie sich der Erzählform des Krimis? In „Liebestrug“ beziehen Sie sich auf „Kabale und Liebe“, hätte da nicht ein Liebesroman einen besseren Rahmen geboten?
Möglicherweise. Das kommt dann ganz auf den Roman an. Als Krimiautor bevorzuge ich einen direkten Stil – und der würde sich für einen klassischen Liebesroman wohl weniger eignen. Romantik schwingt aber auch in „Liebestrug“ mit. Es gibt einen fast schon lyrischen Schriftwechsel zwischen Kommissar Peter Struve und seiner verlorenen Jugendliebe. Ich denke, auch in einem Krimi kann ein Autor zumindest mit dem, was seine Figuren für Liebe halten, spielen und grundsätzliche Themen wie etwa den gesellschaftlichen Status einer Liebesbeziehung ansprechen.
Peter Struve hat es wie Sie aus Westfalen hierher verschlagen. Wie viel von Ihnen steckt noch in Ihrem Protagonisten?
Das Schöne am Schreiben ist ja, sich in allen Figuren ein bisschen wiederzufinden. Aber Peter Struve ist die Hauptfigur: Westfale, stur und eigenbrötlerisch, kantig, ein Außenseiter. Das Management im Einkaufszentrum will ihn wegmobben, er wird zum Widerstandskämpfer wider Willen. Doch halt: Eine Leserin hat mir mal gesagt, sie lese die Krimis hauptsächlich, weil ihr der Kommissar gefällt. Also unter diesem Aspekt: Struve hat viel von mir! (lacht) Er ist aber auch in vielem ganz anders.
Wenn eines Ihrer Bücher entsteht, wissen Sie da schon zu Beginn, wer der Mörder ist, oder entwickelt sich das erst beim Schreiben?
Ich ermittle mit meinem Kommissar. Die wirklich guten Ideen kommen erst, wenn ich im Prozess bin. Und weil ich sonst als Journalist stark eingebunden bin und nur in den Urlauben Zeit zum Krimischreiben habe, bleibt so ein Roman auch mal ein paar Monate liegen. In dieser Zeit reift häufig das Entscheidende.
Die Online-Rede zu Schillers Geburtstag hält morgen der Virologe und Covid-19-Experte Christian Drosten. Eine gute Wahl?
Struve würde sagen: Der Typ ist verdächtig!
Geben Schillers Werke Antworten für unser gesellschaftliches Miteinander während der Coronapandemie?
Marquis von Posa aus Schillers „Don Karlos“ würde sagen: Geben Sie Gedankenfreiheit!
OLIVER VON SCHAEWEN: Orte wiegen schwer im Krimi. Vor allem Tatorte. Ein Leser von „Liebestrug“sagte mir kürzlich, er schlendere jetzt etwas irritiert durch das Einkaufszentrum in Ludwigsburg, in dem er sonst ohne Hintergedanken shoppen gehe. Tatsächlich üben lokale Orte in Krimis eine mitunter starke Faszination aus – das sollte ein Autor aber nicht zur Masche machen. Ein guter Krimi muss mehr bieten: Mir ist der Bezug zu Schiller wichtig.
Welche Schwierigkeiten gibt es, in einem Lokalkrimi den literarischen Diskurs über Schiller unterzubringen?
Erhebliche, vor allem sprachliche. Wie schon die britische Krimiautorin Agatha Christie sagte: „Shakespeare ist der Lokomotivführer – ich bin nur der Heizer.“ Trotzdem versuche ich, die Grundidee aus jedem Schiller-Drama im Krimi als dessen Kern darzustellen. Im aktuellen Krimi „Liebestrug“ habe ich den Standesdünkel von „Kabale und Liebe“ aufgegriffen: Kann ein Flüchtling in eine deutsche Familie einheiraten? Sicher steht jede Liebe, in der sich fremde Kulturen begegnen, vor einer besonderen Herausforderung.
Hatten Sie beim Thematisieren von Migration Bedenken, beim Schreiben in Klischees zu verfallen?
Nein. Mir ist vollkommen klar, dass es unter Geflüchteten eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Einzelschicksale gibt: von der Einser-Abiturientin bis zum Gewaltverbrecher. Im Krimi habe ich mich dafür entschieden, Flüchtlinge in einer Theatertruppe auftreten zu lassen. Klischee-Gefahr hin oder her, es hat Spaß gemacht, sich vorzustellen, wie es da zugeht.
Würden Sie im Angesicht der in den letzten Monaten aufgeflammten Diskussion um Rassismus – Stichwort Black Lives Matter – die Geschichte anders erzählen?
Rassismus ist eine besonders hässliche Form des Standesdünkels. Was kann ein Regionalkrimi zur psychologischen Aufarbeitung leisten? Zu wenig, befürchte ich. Aber vielleicht reicht ja schon die Thematisierung innerhalb einer spannenden Geschichte. Die musste übrigens schon im Januar fertig sein. Black Lives Matter kam später auf.
Haben Sie Schillers Werke schon als Schüler gern gelesen?
Nein, ich habe Schiller im 9. Schuljahr nur ganz oberflächlich mit „Maria Stuart“ kennengelernt. Ich bin dann erst in Marbach wieder auf ihn gestoßen. Es ist prima, wenn Schüler ihn auch in zeitgemäßen Formen vermittelt bekommen. Ich selbst hätte gern zu Schillers Geburtstag einen Luftballon steigen lassen und meinen neuen Krimi Zehntklässlern in der Anne-Frank-Realschule in Marbach vorgestellt. Die drei vereinbarten Lesungen sind aber der Pandemie zum Opfer gefallen.
Muss man Schiller gelesen haben, um Ihre Bücher zu verstehen, oder soll man über Ihre Bücher den Zugang zu Schiller finden?
Nein, man muss Schiller nicht vorher gelesen haben. Aber ein Freund wurde neugierig und hat zu „Kabale und Liebe“ gegriffen, nachdem er „Liebestrug“ gelesen hatte. Literatur ist Geschmacksache, und ich kann jeden verstehen, dem ein Regionalkrimi zu seicht vorkommt, wenn er ein traditioneller Schiller-Fan ist.
Haben Sie ein Lieblingswerk von Schiller?
Ich stehe besonders auf „Kabale und Liebe“ und „Die Räuber“ als relativ frühe Werke, weil sie zur damaligen Zeit noch voller Sturm und Drang – und damit mutiger Gesellschaftskritik – waren.
Setzen Sie sich beim Schreiben noch mal genau mit dem Schiller-Werk auseinander, auf das Sie sich im Buch beziehen?
Ich lese es, mache mir dazu Gedanken und informiere mich. Es war interessant zu erfahren, dass Schiller die Adelige Charlotte von Lengefeld 1790 heiratete, nachdem er 1784 „Kabale und Liebe“ geschrieben hatte. So wurde sein Traum wahr, Charlotte verlor allerdings ihr Adelsprivileg. Sie musste Schiller sehr geliebt haben. Ein Happy End gab es 1802, als Schiller auf Fürsprache des Dichters Johann Wolfgang von Goethe den Adelsbrief verliehen bekam – trotz seiner Revoluzzerstücke.
Was macht in Ihren Augen Schillers Werke heute noch relevant?
Der Mut, gegen etwas zu schreiben, was die Freiheit bedroht. Und seine poetische Sprachkraft, auch wenn man sich beim Lesen heutzutage erst mal einfinden muss.
Warum bedienen Sie sich der Erzählform des Krimis? In „Liebestrug“ beziehen Sie sich auf „Kabale und Liebe“, hätte da nicht ein Liebesroman einen besseren Rahmen geboten?
Möglicherweise. Das kommt dann ganz auf den Roman an. Als Krimiautor bevorzuge ich einen direkten Stil – und der würde sich für einen klassischen Liebesroman wohl weniger eignen. Romantik schwingt aber auch in „Liebestrug“ mit. Es gibt einen fast schon lyrischen Schriftwechsel zwischen Kommissar Peter Struve und seiner verlorenen Jugendliebe. Ich denke, auch in einem Krimi kann ein Autor zumindest mit dem, was seine Figuren für Liebe halten, spielen und grundsätzliche Themen wie etwa den gesellschaftlichen Status einer Liebesbeziehung ansprechen.
Peter Struve hat es wie Sie aus Westfalen hierher verschlagen. Wie viel von Ihnen steckt noch in Ihrem Protagonisten?
Das Schöne am Schreiben ist ja, sich in allen Figuren ein bisschen wiederzufinden. Aber Peter Struve ist die Hauptfigur: Westfale, stur und eigenbrötlerisch, kantig, ein Außenseiter. Das Management im Einkaufszentrum will ihn wegmobben, er wird zum Widerstandskämpfer wider Willen. Doch halt: Eine Leserin hat mir mal gesagt, sie lese die Krimis hauptsächlich, weil ihr der Kommissar gefällt. Also unter diesem Aspekt: Struve hat viel von mir! (lacht) Er ist aber auch in vielem ganz anders.
Wenn eines Ihrer Bücher entsteht, wissen Sie da schon zu Beginn, wer der Mörder ist, oder entwickelt sich das erst beim Schreiben?
Ich ermittle mit meinem Kommissar. Die wirklich guten Ideen kommen erst, wenn ich im Prozess bin. Und weil ich sonst als Journalist stark eingebunden bin und nur in den Urlauben Zeit zum Krimischreiben habe, bleibt so ein Roman auch mal ein paar Monate liegen. In dieser Zeit reift häufig das Entscheidende.
Die Online-Rede zu Schillers Geburtstag hält morgen der Virologe und Covid-19-Experte Christian Drosten. Eine gute Wahl?
Struve würde sagen: Der Typ ist verdächtig!
Geben Schillers Werke Antworten für unser gesellschaftliches Miteinander während der Coronapandemie?
Marquis von Posa aus Schillers „Don Karlos“ würde sagen: Geben Sie Gedankenfreiheit!